Ein Tag im Atelier von Jörg Herz

Ein Tag im Atelier von Jörg Herz

02.10.23
artSOLITAIRE.

Nach 20 erfolgreichen Jahren in der Werbewelt suchte Jörg Herz nach dem Mehr. Dabei fand er zurück zu seiner ursprünglichen Leidenschaft, der Bildhauerei. Er entdeckte die Kettensäge als sein Werkzeug und das Fichtenholz als sein Medium.

Jörg Herz schafft expressiv gesägte Skulpturen. Im Mittelpunkt seines Schaffens steht der Mensch in all seinen Facetten des Lebens. Mann und Frau gleichermaßen, manchmal skurril, manchmal eigenwillig, aber immer von entwaffnender Ehrlichkeit.

Wir waren zu Besuch im Atelier von Jörg Herz in der Nähe des Münchner Ostbahnhofs und haben ihn einen Tag begleitet. Über seinen Weg zur Kunst, seine Inspirationsquelle und das Highlight seiner bisherigen Künstlerkarriere haben wir mit ihm gesprochen. 

 

Jörg Herz Skulptur 'Dirigenten'
Jörg Herz Skulptur "Dirigent"

 

Jörg Herz, wie kamen Sie zur Kunst?

Die Kunst kam zu mir. Als Legastheniker hatte ich in der Kindheit Probleme mit dem Lesen und Schreiben. Im Gegensatz dazu habe ich sehr früh gemerkt, dass mir das Zeichnen und Malen leichtfällt und dass ich es richtig gut kann. Ich hatte die Möglichkeit, mich zu entfalten und Gedanken einzufangen. Von da an war es meine Lieblingsbeschäftigung, einfach dazusitzen und zu zeichnen.

 

Wann wussten Sie, dass Sie Künstler werden wollten?

Schon vor meinem Studium hatte ich eine erste Solo-Ausstellung im Schlosspark-Pavillon meiner Heimatstadt Bad Säckingen.
Der Bürgermeister kam zur Vernissage und kaufte ein Werk für das Stadtmuseum - am Ende des Abends war die ganze Ausstellung ausverkauft. Dieser Erfolg war die Initialzündung. Dass meine Arbeit von anderen geschätzt und gekauft wurde, war eine große Bestätigung meiner künstlerischen Fähigkeiten und hat mich in dem Wunsch bestärkt, eine Karriere als Künstler zu verfolgen.

 

Was inspiriert Sie?

Meine Inspiration schöpfe ich aus der Vielfalt der Menschen auf den Straßen und Plätzen. Die Art und Weise, wie Menschen ihre Identität durch ihr Aussehen und ihre Handlungen im Alltag ausdrücken, ist ein faszinierendes Thema für mich. Diese realen Momente einzufangen, macht die Ausdrucksstärke meiner Skulpturen aus.

 

Rimini, Italien 1973
Rimini, Italien 1973

 

Welcher Künstler oder welche Künstlerin hatte den größten Einfluss auf Sie und Ihr Schaffen? 

Den größten Einfluss auf mein Schaffen hat das Schaffen selbst, bzw. die Art und Weise, wie ich arbeite:
Es ist faszinierend, dass ich mit einer klaren Richtung auf der Grundlage meiner Skizzen beginne, aber offen bin für das Element des Zufalls und der Unvorhersehbarkeit, das durch das Werkzeug meiner Wahl - die Kettensäge - eingeführt wird. Diese Methode bringt nicht nur ein Element der Überraschung und Spontanität in meine Arbeit ein, sondern ermöglicht auch das Entstehen unerwarteter und innovativer Ideen. Die Verschmelzung meiner vorgefassten Vision mit den organischen, ungeplanten Aspekten, die die Kettensäge mit sich bringt, führt zu meinem unverwechselbaren Stil.

 

Wo arbeiten Sie am liebsten?

Ich arbeite im Freien, bei jedem Wind und Wetter. Im Sommer wie auch im Winter, bei Sonnenschein oder im Dunkeln bei Schneefall mit Stirnlampe. Der Arbeitsprozess steht im Mittelpunkt meines Schaffens und ist als Ausdruck von radikaler Akzeptanz von dem, was gerade im Moment ist, zu verstehen. Das ist es, was die Authentizität und die sinnliche, direkte Handschrift meiner Skulpturen ausmacht.

 

Wie sieht ein typischer Tag in Ihrem Künstlerleben aus?

Morgens 30 Minuten Meditation, damit ich ruhig und gelassen in den Tag starten kann. Dann mit der Vespa 30 Minuten ins Atelier fahren, und da gibt es dann einen ersten Latte Macchiato und eine Brezel. Den Vormittag verbringe ich mit Planung und Organisation und dem Anschauen der Arbeit des Vortages. Am frühen Nachmittag gehe ich in der Isar schwimmen, im Sommer täglich, im Winter wöchentlich 1 x kurz Eisbaden. Der Nachmittag gehört voll und ganz der Arbeit mit der Kettensäge und dem Kolorieren der Skulpturen.

 

Der Künstler bei der Arbeit
Der Künstler bei der Arbeit

 

Welches Material und welche Techniken verwenden Sie am liebsten?

Sehr gern verwende ich Fichtenholz, die Maserung und die groben Arbeitsspuren bleiben gut sichtbar. Das charaktervolle Holz verstärkt den Ausdruck meiner Arbeiten. Jahresringe, Äste, Unebenheiten - nichts wird versteckt, denn das Unmittelbare ist mir wichtig: Zeigen, was ist. Nichts vorgeben, was nicht ist. Im Kontrast des Holzes mit der flächigen Farbgebung bekommen meine Skulpturen einen unverwechselbaren Stil.
Mein Werkzeug ist die Kettensäge. Wenn ich mit ihr arbeite, bin ich extrem fokussiert und derart im Moment, dass es einer Achtsamkeitsübung gleichkommt. Ich bin zu 100 Prozent im Hier und Jetzt und das ist es, was ich an meiner Herangehensweise und meinem Werkzeug so liebe.

 

Jörg Herz, was war Ihr schönstes Erlebnis?

Als ich die Turmspringerin - meine erste Skulptur im öffentlichen Raum auf einem Bürogebäude - enthüllen konnte: nach 10 Monaten Vorbereitung, dem Schaffen der Figur, Statik-Berechnungen, Architektenplanung und der Zustimmung durch die Baubehörden. Ein zeitgemäßes Frauenbild, mit der Kettensäge aus Holz gesägt. Ein Statement für Mut und Lebensfreude.

 

Installation der 'Turmspringerin' von Jörg Herz
Installation der "Turmspringerin" von Jörg Herz

 

Welchen Rat würden Sie jungen Künstlerinnen und Künstlern geben, die gerade erst anfangen?

Mach genau das, was dir Spaß macht, und nicht das, von dem du denkst, dass du es gut verkaufen könntest.

 

Haben Sie einen anderen Künstler oder eine andere Künstlerin auf artSOLITAIRE entdeckt, dessen Werke Sie bewundern?

Die Künstlerkollegin Sibylle Bross schreibt zu ihren Arbeiten "Malen ist Leben und es gibt immer wieder Überraschungen". Das kommt meiner Arbeitsweise und meinem Thema "Menschen" sehr nah und wahrscheinlich deshalb gefallen mir ihre Arbeiten auch so gut.

 

Was glauben Sie, würden Sie heute tun, wenn Sie kein Künstler geworden wären?

Die Trainerlizenz als Judo-Lehrer habe ich und ich habe auch als solcher gearbeitet. Konditor wäre ich um ein Haar geworden, da ich als Jugendlicher schon leidenschaftlich gern gebacken habe und auch in einer Konditorei ein Praktikum absolviert habe. Ein Leben als Tango-Lehrer könnte ich mir auch vorstellen, da ich jetzt schon seit 15 Jahren leidenschaftlich Tango tanze. Das ist für mich die pure Lebensfreude.

 

Haben Sie ein Lieblingsmuseum? Wenn ja, welches und warum?

Ich habe das Privileg, täglich auf dem Weg zu meinem Atelier an einem der großen internationalen Ausstellungshäuser, dem Haus der Kunst in München, vorbeizufahren. Dieses zeigt jährlich etwa acht Ausstellungen, die mich immer wieder begeistern.

 

Arbeiten im Freien
Arbeiten im Freien

 

Haben Sie einen aktuellen Favoriten unter Ihren Werken?

Die 155 cm große "Schnorchlerin“ aus einem Weidenstamm begeistert mich gerade am meisten. Sie entstand im Juni 2023 in Brienz (Schweiz) bei einem Bildhauersymposium.

 

Auf welche Ausstellung oder Auszeichnung sind sie besonders stolz? Bzw. planen Sie gerade eine Ausstellung?

Ich bin eingeladen worden, beim 26. Internationalen Bildhauersymposium St. Blasien teilzunehmen. 13 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt zeigen, welche unbegrenzten Möglichkeiten in einem Baumstamm schlummern. Darauf und auf den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen freue ich mich sehr.

 

Was wünschen Sie sich für die Zukunft? Welche Wünsche und Ziele haben Sie?

Die ein oder andere Skulptur in Lebens- oder Überlebensgröße in den öffentlichen Raum zu bringen. Ob Bundesgartenschau oder Bundeskanzleramt ist mir nicht wichtig. Hauptsache, sie wird von vielen gesehen und zaubert den Betrachtenden ein Lächeln ins Gesicht und sei es in einem Kreisverkehr.

Vielen Dank für das Interview!

Entdecken Sie jetzt alle Werke des Künstlers Jörg Herz bei artSOLITAIRE.